Folge 2 – Günther Uecker zum 95. Geburtstag: der Nagel im Schmerz des Fleisches

Als einer der letzten Überlebenden einer großen Künstler-Generation, die in den 1960er Jahren der Moderne in Deutschland Weltgeltung verschafft haben, konnte Günther Uecker kürzlich in Düsseldorf seinen 95. Geburtstag feiern. Am 13.3.1930 in Wendorf (Mecklenburg-Vorpommern) geboren, kam er nach Studien in Wismar und Westberlin 1955 an die Kunstakademie Düsseldorf, wo er bis 1957 bei Otto Pankok studierte.

Der radikale künstlerische Aufbruch dieser Zeit spiegelt sich in der bereits 1958 von Heinz Mack und Otto Piene gegründeten Künstlergruppe ZERO, der Uecker 1961 beitrat. Die Kunst in der „Stunde Null“ sollte von allem Ballast der Traditionen befreit sein, propagierte eine Ästhetik des Purismus und wandte sich neuen Formen der Kunst zu: Sie bevorzugte die Monochromie der reinen Farbe, experimentierte mit Licht und Bewegung (Kinetik), mit Feuer und Luft oder wandte sich technischen Alltagsmaterialien wie Glas und Metallen zu – so konnte z.B. Uecker mit seinen zahlreichen Nagelreliefs bestimmte Bewegungsmuster oder eigene Licht- und Schatteneffekte ausarbeiten.

Es ist der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet, daß auch in Günther Ueckers späterem Werk eine gesellschaftspolitische Dimension Eingang gefunden hat, die hier von einem tiefen humanistischen Ideal geprägt ist. Zum einen kann sich dabei eine künstlerische Reaktion auf weltpolitische Ereignisse widerspiegeln – auf die Atomkatastrophe von Tschernobyl reagierte er z.B. mit einer Serie von „Aschebildern“, thematisiert den Vietnamkrieg und die Erinnerung an das KZ Buchenwald – andererseits beschäftigt sich Uecker zunehmend mit den Grund- und Lebensprinzipien menschlichen Daseins, was ihn zugleich immer mehr auch mit kirchlichen Institutionen in Berührung bringt.

Schon zum Berliner Katholikentag 1980 präsentierte er sein mit Nägeln gespicktes (Flüchtlings-)Boot „Chichicastenango“ – als Symbol und Teil einer Passionsgeschichte aus dem von Bürgerkriegsgreueln betroffenen Ort in Guatemala. Nun steht es treffend in der Pax Christi Kirche in Krefeld. In den Jahren 1998-99 gestaltete Uecker dann im Berliner Reichstag einen interreligiösen Andachtsraum. Weitere Arbeiten folgten: Im Jahr 2000 schuf er 14 „Gebrochene Kreuze“ – mit Nägeln und Tüchern versehene, bis 6 Meter hohe Kreuzpfähle, die seit 2003 in der Lübecker Marienkirche zu sehen sind.

Eine ähnliche Arbeit ist die erstmals 2001 im Bundestag aufgestellte Installation „Zeichen und Schriften – Dialog“, entstanden als Reaktion auf den 11. September. Hier umstellen die per Hand auf Tüchern niedergeschriebenen Friedensgebote aus Altem Testament und Koran eine Vielzahl von genagelten und verbundenen Holzpfählen („Schmerzensstelen“). Eine neuerliche eindrucksvolle Präsentation fand die Arbeit dann in der Karlskapelle des Aachener Domes, die im Rahmen einer den drei monotheistischen Religionen gewidmeten Ausstellung („Ex oriente“) stattfand (Abb.).

Das Thema der Passion blieb für Uecker immer aktuell: Er gestaltete Bühnenbilder zur Matthäus-Passion, verhüllte 2017 zur Fastenzeit den Altar in der Paul-Gerhardt-Kirche im Prenzlauer Berg. In der Ausstellung „Im Kreis gehen“ (2018 in der Stephanskirche Münster) widmete sich Uecker dann dem in vielen Religionen verbreiteten Ewigkeits-Symbol des „Ouroboros“. Jüngstes Beispiel für eine unvoreingenommene Verbindung von Kunst und Kirche sind die Glasfenster im Dom von Schwerin, die den in kühlem Weiß gefassten Kirchenraum in einem grandios ausgreifendem „Lichtbogen“ aus blauen und weißen Farbgläsern aufleuchten lassen.

Als einem Klassiker der Moderne ist es Uecker gelungen, im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung auch im Raum der Kirche gültige Werke zu schaffen und zugleich zu einem Mittler zwischen den Kulturen und Religionen zu werden.

© 2025 (text/bild) Adam Oellers

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